Samstag, 4. Januar 2014

Wie Vatern Autoscheiben aufzutauen pflegte

“Hast du eigentlich ein Fotoalbum von deiner Familie”, fragte mich neulich eine Bekannte. Und ich kam ins Schleudern. Fotoalbum? Von der kleinen Kriemhild gab es eins, das hatte Muttern mir mal geschenkt. Aber das Mädchen hatte ich nie kennen gelernt. 

Doch, halt, ein Foto habe ich. Aber wo?
Mein Besuch entschwand und ließ mich mit merkwürdigen Familienerinnerungen zurück. Zum Beispiel die Sache mit Vaterns Mercedes. 

Irgendetwas war kaputt, Vatern wollte seine “Staatskarosse” ungern der Werkstatt überlassen, so machte er sich eben selbst ans Werk.
Das dauerte. 

Und solange nahm er eben Mutterns kleinen roten 500er Fiat. Die kleine rote Kugel hatte aber noch kein synchronisiertes Getriebe, man musste also mit Zwischenkuppeln und Zwischengas fahren.
:“Zwischengas! So ein Unfug! Wir sind hier in Deutschland, da gibt es solche Sperenzchen nicht! Verstanden?” 

Das war Vaterns felsenfeste Überzeugung, und das als Ingenieur!
Wenn es bei SS und Wehrmacht lauter solche “Fachleute” wie Vatern gegeben hätte, wäre der II. Weltkrieg sicher mangels funktionierender Technik ausgefallen. 

Vatern fuhrwerkte also krachend und scheppernd los. Dem war das an sich unverwüstliche Autochen nicht gewachsen. Sein Getriebe gab den Geist auf. Vatern störte das kaputte Auto nicht, es gehörte schließlich Muttern. Aber:  die Reparatur seines heiligen Mercedes hatte er noch nicht zu Ende zelebriert. So, was nun? 

Halt mal, da war ja noch mein kleiner alter Käfer, den er als nächstes kaputtfahren könnte. Dass ich Hörbi brauchte, um täglich zur FH nach Lemgo zu fahren, tat nichts zur Sache. Sollte ich halt Mutterns Fahrrad nehmen. Ich hatte schon so etwas geahnt und mir eine Lenkradkralle besorgt. 

Nun wurde es doch “eng”. Schließlich musste Muttern ja zum Einkaufen fahren. Nur ein einziges Mal ließ sie sich von mir im Käfer nach Lage zum Marktkauf zum Einkaufen kutschieren.  Dann war Schluss. Wieso? 

Ganz einfach. Mein Hörbi hatte statt Rückbank eine große Liegefläche für meine Hündin Dobbi. Da lagen ihre Decke, Trinknapf, Werkzeug und diverser anderer Kram. Das störte Muttern heftig: “Du hast ja nicht einmal dein Auto aufgeräumt, was sollen denn die Leute sagen? Wenn du nicht sofort aufräumst, fahre ich nicht mehr mit!” Sie blieb eisern, ich auch. Dann wurden die Lebensmittel knapp. 

Als auch Vaterns Caro-Kaffee zur Neige ging, entschloss er sich, sein eigenes “heilig’s Blechle” - den Mercedes - etwas schneller zu reparieren. Was auch gelang. 

Trotzdem, die Lebensmittel blieben knapp. Weil Vatern nicht zuließ, dass Muttern seine Staatskarosse fuhr. Und mit zum Einkaufen fahren? Er als Herr des Hauses sollte zum Einkaufen?  Kam nicht in Frage! 

Blieb nur eines: Mutterns Autochen zu reparieren. Vatern bestellte ein neues Getriebe, wir rollten den Kleinen in seine Garage und Vatern legte los. Seine heilige Karosse musste für die paar Stunden ausnahmsweise im Freien stehen. 

Nur dass aus den Stunden Tage wurden. 

Vatern wollte das neue Getriebe nach seiner typisch deutschen “Ingenieurmanier” einbauen, will heißen, die italienische Einbauanweisung ignorierte er. Seiner Meinung nach war das Getriebe schlampig hergestellt,deshalb passte es nicht in den Motor. So “überarbeitete” er das arme Getriebe an seiner Drehbank.
“Diese verdammten Ausländer können nicht einmal so lächerliche Getriebe herstellen.  Sieh dir das an!” Damit wies er auf den großen Berg Eisenfeilspäne, die er heruntergefräst hatte. Jetzt war das neue Getriebe nicht mehr zu gebrauchen, er hatte es zu Tode verbessert. 

Was war passiert? Vatern hatte das Getriebe verkehrt herum einbauen wollen, deshalb passte auch gar nichts zusammen.
“Dieser ausländische Plunder hat noch nie etwas getaugt, Jetzt kannst du es verschrotten lassen, da ist nichts mehr zu machen!” 

Muttern weinte, ihr schönes kleines Auto. So lange hatte sie dafür gespart, es war immer zuverlässig gefahren. Ach, hätte sie es doch nur in eine Werkstatt gebracht … 

(Zur Beruhigung: der kleine Wagen wurde durch einen “Autoschrauber” gerettet, der einfach bei seinem Kumpel auf dem Schrottplatz ein anderes 500er Fiat-Getriebe besorgte und schnell und unkompliziert einbaute. Muttern fuhr noch mehrere Jahre mit dem  Kleinen, ehe sie ihn an einen Oldtimerliebhaber verkaufte.)

Bevor es soweit war, brach erst einmal Weihnachten aus. Es wurde kalt, Eisregen gab es auch - und Vatern bekam Entzugserscheinungen, weil sein Caro-Kaffee mangels Kaffeepulver immer dünner und plürriger wurde. So musste doch seine “Staatskarosse” zum Einkaufen herhalten. Aber halt mal, die Scheiben waren doch vereist! So ging das aber nicht! 

Abhilfe musste geschaffen werden, und zwar dringend. Zu dem Zweck schleppte Vatern seinen Dachgepäckträger, mehrere alte Heizlüfter und diversen Elektrokram in Großausführung in seine Werkstatt. Ich staunte. “Papa, was soll das werden?” 

Er reckte belehrend seinen Zeigefinger und hielt mir einen längeren Vortrag, der darin gipfelte, dass zum Autofahren die Scheiben eisfrei zu sein haben. Jetzt verstand ich gar nichts mehr. “Und dafür musst du extra was zusammenschrauben? Warum nimmst du nicht einfach einen Heizlüfter? Oder legst rechtzeitig eine heiße Wärmflasche aufs Armaturenbrett? Das geht doch viel schneller …” 

Nächster Vortrag, in dem mir klar gemacht wurde, dass ich von technischen Dingen keinen blassen Schimmer hätte und sowieso geistig eher minderbemittelt sei. “Na klar, als deine Tochter werde ich das wohl von dir geerbt haben…”, lachte ich und verzog mich vorsichtshalber. 

Am nächsten Tag  schraubte Vatern den Dachgepäckträger an seinen Mecedes und befestigte vorn einen Rahmen mit Gummifüßen. Die standen auf den Kotflügeln. An dem Rahmen brachte er eine riesige, hin und her geringelte Heizschlange an, dessen Kabel in einem großen, offenbar aus Wehrmachtsbeständen stammenden Relaiskasten endete. Dann kam noch eine Alufolie zwecks Reflektorwirkung hinter die Heizschlange. Warum nur hatte das Ding in der Mitte ein rechteckiges Loch? 

Nein, das konnte doch nicht sein? War ich denn besoffen? Auf so eine Kateridee musste man erst mal kommen! Vor das Loch wurde ein Heizlüfter gestellt, der die Heizschlangenwärme auf die Autoscheibe blasen sollte! 

Ich rieb mir die Augen, kniff mir sogar in die Arme. Das konnte doch nur ein Traum sein! War es aber nicht. Der Aufbau war wirklich echt. 

Mit großer Geste schaltete Vatern sein “technisches Wunderwerk” ein, und wohlige Wärme machte sich breit. Dann war der Strom weg. 

Ins Haus, Sicherung wieder rein, raus, Machwerk einschalten … simsalabim, wieder kein Strom. 

Mehrmals hintereinander das gleiche Spiel. 

Diese famose Autoscheibenanwärmanlage tat es einfach nicht. Und sie hatte eine fatale Nebenwirkung: Durch die dauernden Spannungsabfälle hatte die Steuerungsautomatik von der Zentralheizung ihren Geist aufgegeben. 

Da sieht man es wieder:


Dem Ingeniör
ist nichts zu schwör!


Hochgeladen am 18.09.2007 von zaggy3110


Übernommen von OverBlog


2 Kommentare:

  1. Dein Vater scheint ja ein richtiger Umstandskramer gewesen zu sein :-))

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    1. Umstandskrämer ist die Untertreibung des Jahrhunderts :-))

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