Heute abend, es war schon dunkel, da schellte es Sturm an meiner Haustür. Ich war gerade im Stall fertig geworden. Ich öffnete, eine gute Bekannte stand vor der Tür. Aber wie sah sie aus! Tränen liefen ihr übers Gesicht, sie schluchzte und fiel mir in die Arme. "Es ist so furchtbar!" weinte sie.
Ich bugsierte sie erstmal ins Haus, platzierte sie in einen bequemen Sessel und ließ die Tränen laufen. Dann machte ich ihr einen guten Tee. Die Frau wurde ruhiger und begann zu erzählen, von Tränenfluten unterbrochen:
Ihrem Mann war pünktlich zum Jahresende von seiner Zeitarbeitsfirma gekündigt worden. Er hatte zuletzt bei einem Autozulieferer gearbeitet, der brauchte die Zeitarbeiter nicht mehr, und die Zeitarbeitsfirma hatte keine andere Arbeit für ihn, also wurde er entlassen. Die nächsten Monate bekommt er Arbeitslosengeld und dann droht König Hartz der Vierte ...
"Er schämt sich deshalb und jedes Jahr fährt er mit seinen Kumpels in den Skiurlaub, aber ich habe ihm gesagt, dass wir sparen müssen!" schluchzte sie.
"Richtig!" stimmte ich ihr zu, "ihr müsst jetzt sparen, wer weiß, was dieses Jahr noch bringt! Und schämen muss er sich überhaupt nicht, schämen müssen sich die politischen Entscheider, die es so weit gebracht haben. Da wurde immer der zügellose freie Markt gepredigt, jetzt haben wir den Salat!"
Sie: "Und stell dir vor, er wollte den Goldschmuck haben, den ich von meiner Oma geerbt habe! Er will damit ins Pfandhaus fahren, damit er mit seinen Kumpels Ski laufen kann! Du, ich kann nicht mehr!"
Ich: "Das gibt es doch nicht!"
Sie: "Ich habe mich geweigert, den Schmuck rauszurücken. Da hat er zu saufen angefangen. Und wie er richtig besoffen war, fing er an zu toben! Er wollte unbedingt den Schmuck haben ..."
Ich: "Und was dann?"
Sie: "Ich habe ihm gesagt, dass der Schmuck im Schließfach liegt. Da wollte er den Schlüssel und morgen zur Bank. Er rollte mit den Augen und ballte die Fäuste, wie ein Verrückter. So habe ich ihn noch nie gesehen, ich habe Angst vor ihm!"
Ich: "Also, morgen ist Samstag, da hat die Bank nicht auf! Und den Schmuck ins Pfandhaus bringen, das ist kompletter Wahnsinn. Da kann er gleich den Schmuck zum Fenster raus werfen, die verlangen ja bis 50 % Zinsen."
Sie: "Was? Soviel?"
Dann rechnete ich ihr vor, wie das bei Pfandhäusern so läuft: Das Pfandhaus schätzt den Schmuck, wenn der Kunde Glück hat, dann kriegt er mal 75 % des eigentlichen Wertes. Der Pfandkredit läuft meistens drei Monate. Aber dafür werden noch extra Gebühren fällig: für die Einlagerung, für die Kreditabwicklung, für die Versicherung. Meistens drei Prozent pro Monat. Das steht alles in der "Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher" Die muss öffentlich im Pfandhaus aushängen.
Sie: "Aber er hat mir gesagt, die verlangen bloß ein Prozent Zinsen?!"
Ich: "Ja, pro Monat! Das hört sich wenig an, aber wenn Du das aufs Jahr umrechnest, sind das 12 %. Und wenn Du die drei Prozent dazurechnest, dann hast Du vier Prozent Zinsen im Monat, das sind 48 % Zinsen im Jahr!"
Sie erschrak: "Aber das ist doch fast die Hälfte! Das ist gemein so was!"
Ich: "Ist es auch. Immer wenn es den Armen schlecht geht, dann gibt es fiese Gestalten, die dann den Armen das bisschen, was sie noch haben, auch noch wegnehmen. Und das ganz legal!"
"Pfandhäuser sind wirklich nur was für den absoluten Notfall! Und ein Skiurlaub ist kein Notfall!" fügte ich bissig hinzu.
Sie: "Was soll ich bloß machen?"
Ich: "Geh zu deiner Mutter und übernachte dort. Morgen rufst Du bei deinem Mann an. Spinnt er immer noch rum, ziehst Du aus. Mit so einem Mann kannst Du nicht zusammen bleiben, der verkauft dein letztes Hemd. Es gibt so blöde Leute, die lassen sich von anderen einreden, das Arbeitslosigkeit eine Schande ist. Das haben schon die alten Römer so gehandhabt: Divide et impera, teile und herrsche! So hieß das bei denen. Will heißen, hetze die Bevölkerung gegeneinander auf, dann kannst Du ruhig regieren. Und so wird das jetzt auch praktiziert."
Sie hatte mir zugehört und war ruhiger geworden: "Er hat mir erzählt, dass ein Kumpel gesagt hat, dass er diesmal nicht mitfährt, er habe das Geld nicht. Dabei ist das ein Bauer, der nebenbei auf Arbeit geht?!"
Ich antwortete: "Das kann ich gut verstehen. Dieses Jahr war nicht gut für die meisten Bauern. Da haben sie ihr Getreide eingelagert, weil sie meinten, dass vor Weihnachten der Preis steigt. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten, das Getreide ist spottbillig geworden."
Sie war still geworden, dann fragte sie: "Kann ich meine Mutter anrufen?" Ich nickte und ging solange raus und sie telefonierte. Dann kam sie zu mir, wir umarmten uns und ich brachte sie zur Tür.
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