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Fotomontage von Denise R. |
Freitag, 2. November 2001, 5 Uhr dreißig. Meine achte Nachtwache in Krankenhaus bei meiner sterbenden Stiefmutter. Zwei Stunden zuvor war sie gestorben, der diensthabende Arzt hatte ihren Tod bestätigt und die Pfleger ihren Leichnam hergerichtet, während ich draußen warten musste.
Ich stand im Gang und war den hin und her eilenden Pflegern anscheinend auch dort im Weg. Sie schickten mich weg, in den Aufenthaltsraum.
Das war schlimmer als Mutterns Sterben. Diesen fensterlosen Raum mit der Scheibe zum Gang, dem tristen Tischchen und den blauen Plastikstühlen werde ich wohl nie mehr los. Abgestandener kalter Rauch und die trübe Nachtbeleuchtung vom Gang ließen ihn noch trostloser erscheinen als er sowieso schon war. Draußen war es noch dunkel, die schönen alten Bäume mit ihrem bunten Herbstlaub waren allenfalls zu ahnen.
Die Pfleger waren mit ihrer Arbeit fertig und ich konnte zurück ins Zimmer. Seufzend griff ich zum Telefon. Jetzt musste ich Vatern anrufen.
Es bimmelte und bimmelte. Hatten Vatern und mein Halbbruder so einen festen Schlaf?
Na endlich: “Kippmann!”, schnarrte es im Hörer.
“Papa, Mutter ist tot …” Weiter kam ich nicht.
“Wegen solch einer Nichtigkeit wagst du es, meine Nachtruhe zu stören? Was fällt dir eigentlich ein? Ich werde dich ... usw. usw.”
“So, und jetzt gib mir Liesel, die ist bestimmt nicht davon begeistert, wie du dich hier aufführst!”
“Papa, Mutter kann dich nicht mehr hören. Sie ist tot …”
“Lass gefälligst diese makabren Scherze! Ich weiß genau, dass sie bald aus dem Krankenhaus entlassen wird!” Damit pfefferte er den Hörer auf die Gabel.
Und ich konnte noch bis fast 9 Uhr warten. Die Herren Kippmann geruhten nämlich zuvor in aller Seelenruhe zu frühstücken.
Ich suchte derweil Mutterns Sachen zusammen, das meiste stopfte ich gleich in einen großen Müllsack.
Dann hatte ich noch sehr lange Zeit, Mutterns selbst im Tod noch zerquältes Gesicht anzuschauen. Sie durfte nicht einmal mehr selber mit ihrem Arzt sprechen. Vatern kontrollierte alles.
Dass sie Krebs hatte, stritt er bis zuletzt einfach ab, obwohl sie schon 1980 die erste Krebsoperation hatte. Auch nahm er ihre Schmerzmittel weg und traktierte sie stattdessen mit riesigen Magneten. Damals kamen gerade Magnetmatten und Magnetfeldtherapie in Mode. Richtig angewandt, durchaus heilsam.
Weil Magnetfeldtherapie den Zellstoffwechsel anregt.
Bei Entzündungen ist es nicht zu empfehlen und bei Krebs ist es tödlich. Eben weil das Wachstum der Krebszellen dadurch erst recht angeregt wird. Nun hatte Vatern sich einmal länger mit einem “Mediziner” unterhalten und hielt sich daraufhin selbst für einen halben Arzt. Also baute er ein riesiges Magnetfeldgerät. Feldstärke und Frequenz? Wen interessierte das schon? Jeden Abend musste Muttern sich damit “behandeln” lassen, obwohl sie jedesmal vor Schmerzen weinte.
Jetzt hatte sie es überstanden. Ich konnte nicht trauern, zu groß war meine Erleichterung, dass sie endlich von diesem Leiden erlöst war.
Stunden später tauchte der Rest meiner bescheuerten deutschen Sippe auf, und ich konnte meinen Platz an Mutterns Seite räumen.
Vatern und “Bruderherz” standen länger vor Mutterns Bett.
“Und wer kocht jetzt mein Essen?”, war das erste, was Vatern danach einfiel.
“Und deine halb elf und halb fünf - Carokaffees …” rutschte es mir heraus.
Quelle: Vaterns Federbett und ein Cafébesuch: "Haben die nicht mal Carokaffee! Was ist das für ein erbärmlicher Laden! Fahr mich sofort nach Haus und koch mir Kaffee! Das ist ein Befehl!" - Entschuldigend lächelte ich die wartende Serviererin an. "Nach Detmold oder nach Mögersbronn", fragte ich mit Samtpfötchenstimme, bei der die Krallen nur ganz wenig herausschauen. - "Nach Detmold natürlich, damit ich pünktlich meinen Caro-Kaffee bekomme, und nicht so ein fremdländisches Zeug!"
“Was glaubst du wohl, was eine Köchin und eine Putzfrau im Monat kosten!”, schnappte Vatern zurück. War das wirklich alles, was ihm nach 45 Ehejahren einfiel?
Dass ich trotz der vorherigen Nachtwachen alles weitere organisieren musste, war klar.
Die freundliche Dame vom Pivitsheider Beerdigungsinstitut kam noch am selben Abend vorbei. Sie hatte Muttern gut gekannt, weil die mit ihrer Mutter zusammen zur Schule gegangen war.
Frau R. legte mir die Mappen mit den Särgen und der Sargwäsche hin, damit ich schon einen ersten Überblick bekam.
“Sie haben doch diese Sterbeversicherung abgeschlossen, die deckt alle Kosten ab”, versuchte Frau R. Vatern zu beruhigen. Man sah ihm mehr als deutlich an, dass er schon die Kosten für diesen nicht eingeplanten Zwischenfall zusammenaddierte.
“Nein, natürlich nicht! Ich habe diesen Unsinn gleich gekündigt, sonst hatten wir ja jeden Monat dafür zahlen müssen!”
Ich wurde indessen fündig: “Schau mal Papa, das hier ist doch ein schöner Sarg. Nicht so schlicht, aber auch nicht zu schwülstig …”
Frau R. nickte bestätigend, aber Vatern riss mir mit seinem typischen “HACHCHCH!” den Katalog weg. “Du vergisst anscheinend, dass sie verbrannt werden soll”, fauchte er und blätterte im Katalog. “Wir nehmen diesen hier”, und zeigte auf ein Futteral in metallisch-blauer Farbe. Mir wurde es schwül. Vatern konnte Muttern doch nicht in einem Brillenetui zur letzten Ruhe betten. Das hatte sie wirklich nicht verdient.
Hier griff Frau R. ein. “Wie sie schon sagten, Herr Kippmann, soll Ihre Frau verbrannt werden.
"Und dies hier ist ein Designer-Sarg, der etwa 8000 DM mehr kostet als der von Ihrer Tochter vorgeschlagene Sarg. An Ihrer Stelle würde ich mir das noch einmal überlegen.”
Vatern rotierte. Da hatte er Geld sparen wollen, und dann so etwas.
“Na gut, du bekommst deinen Willen, wir nehmen doch den Holzsarg. Sonst quengelst du mir nur wieder die Ohren voll.” Damit gab er Frau R. die Mappen zurück. Ich protestierte.
Frau R. gab taktvoll vor, sich mit ihren Unterlagen zu beschäftigen, während ich Vatern zu überzeugen suchte, dass in einen Sarg auch ein Kissen und eine Decke gehören.
Ich zog den Katalog wieder her und suchte dezente Sargwäsche heraus. Ich glaubte zu wissen, dass Muttern überladene Spitzenkissen und -decken nicht gefallen hätten.
“Muss das wirklich sein?”, meckerte Vatern. “Willst Du Mutter vielleicht auf alte Zeitungen legen? Womöglich nackt, um das Leichenhemd zu sparen?”, schnappte ich zurück.
“Vielleicht suchen Sie etwas heraus, was Ihre Mutter gern getragen hat. Das machen viele so”, half Frau R. mir aus der Klemme. Sie unterhielt sich mit Vatern, um ihn wenigstens etwas zu beruhigen.
Ich musste nämlich noch die Todesanzeige formulieren. Dazu fiel Vatern rein gar nichts ein, mein “lieber” Halbbruder glänzte durch Abwesenheit. Er war mit seinen alten Saufkumpanen unterwegs.
Ich rief den Bär in Bayern an, mein Kopf war völlig leer. Mit seiner und Frau R.s Hilfe gelang auch die Anzeige, und sie verabschiedete sich. Mutterns Kleidung wollte sie am nächsten Morgen holen.
Zum Glück erinnerte ich mich, was Muttern oft im Sommer getragen hatte. So suchte ich - unter Vaterns Protest ihren weiten bunten Sommerrock eine hübsche weiße Bluse, weiße Socken und ganz neue, noch nie getragene Unterwäsche zusammen.
Da wurde Vatern wild. “Was soll das? Die Sachen sind ja noch ganz neu! Die kommen nicht ins Grab!” Damit griff er in den Schrank und holte einen alten, ausgeleierten gelblichen Schlüpfer und ein museumsreifes Unterhemd hervor.
“Da, das kriegt sie an, verstanden?”
Nein, das verstand ich nicht - mir platzte der Kragen: “Du erstickst noch mal an deinem Geiz! Wenn du stirbst, willst du dann in einen schwarzen Müllsack gewickelt werden? Und statt Sarg klebt man dir vier Plastikgriffe an? Damit die Beerdigung schön billig wird?”
“Nein, ich werde selbstverständlich ein mir angemessenes, militärisch ehrenvolles Begräbnis erhalten. Dabei werde ich natürlich SS-Uniform tragen! Verstanden? Wegtreten!”
“Ach, und noch etwas”, pfiff Vatern mich zurück, “dir ist ja wohl klar, dass ich der Alleinerbe bin! Du hast hier gar nichts zu sagen! Sei froh, dass ich dich in meinem Haus kostenfrei übernachten lasse!”
Oje! Was denn nun noch? Stellt er mir jetzt die Abnutzung der Bettwäsche noch in Rechnung? Oder gar den verbrauchten Strom?
An was dachte dieser alte Mann, außer an Geld? Wieso zeigte er keine Trauer? Was war denn an Mutterns Sparbüchern so wichtig, dass er, kaum vom Krankenhaus zurück, sich gleich zur Sparkasse kutschieren liess, um ihre Ersparnisse zu sichten? Soviel ich weiss, müssen Beerdigungen doch nicht bar im Voraus bezahlt werden.
Hatte er Muttern überhaupt geliebt? Überall jammerte er den Leuten die Ohren voll, wie schlecht es ihm nun ginge und er jetzt ganz allein wäre. Seine langjährige Pivitsheider Freundin, die kurz darauf bei ihm einzog, erwähnte er dabei nicht. Er wollte überall bedauert und getröstet werden, am besten mit einem großen Stück Torte und gutem Bohnenkaffee.
Hatte er Muttern nur als billige Putz-und Kochfrau geheiratet? Oder ihr Vermögen in Häusern und den zwei Hektar Bauland?
Das werde ich wohl nie erfahren.
Jedenfalls bin ich dann, um seinen Strom und seine Lebensmittel zu sparen, zum Plantageneck zur Pommesbude gelaufen, um endlich etwas in den Bauch zu bekommen. Wenn Vatern warm essen wollte, musste er sich halt selber etwas kochen.
Auf meinen Halbbruder Wotan brauchte ich auch keine Rücksicht nehmen, Der gute Junge war mit einem prall gefüllten Geldumschlag zurück nach Miami geflogen, “leider” konnte er nicht bis zur Aussegnung warten, wegen dringender Geschäfte in Schraubentütchen.
Quelle: Mutterns Küchengerät rettet internationale Firma: Mein Halbbruder Wotan hat in Florida eine Firma, die deutsche Schrauben, Muttern etc. für deutsche Autos verkauft. Wer im Internet bei "overatlantic" nachschaut, wird unter anderem lesen: Jahreseinkommen 2,5 bis 9 millionen US-Dollar, 5 bis 9 Mitarbeiter. Ein florierendes Unternehmen also. Dann lud Wotan unseren Vater nach Miami ein. Mein alter Herr verschwand also nach Florida.
Vatern selbst tätigte vor lauter Trauer noch am Morgen von Mutterns Aussegnung mehrere Landverkäufe.
Fürwahr, das ist auch eine Art, um nahe Angehörige zu trauern ...
Veröffentlicht am 23.12.2013 von lucy fer
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