Freitag, 27. Februar 2009

Wie die Geomantie zu mir kam


Ich war noch ein kleines Kind, aber ich konnte schon reiten. Da gab mich meine mongolische Mutter einer Salzkarawane mit, die mich zu einer anderen Sippe bringen sollte, jenseits der Gobi.

Aber diese Reise stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Eines Tages wurde es ganz schlimm, ein fürchterlicher Sandsturm. Mehrere Männer starben.

Als der Sturm vorüber war, sah ich wie der Älteste, der jetzt auch der Führer war, den Sand ebnete und dann mit seinem Stock ganz schnell Löcher in den Sand stieß.

Zu gern hätte ich gewusst, was er da machte. Aber ich als Kind durfte ihn nicht ansprechen. Zuerst hatte er sehr ernst geschaut, aber dann hellte sich sein Gesicht auf und wurde freundlicher. Er sah auf mich, er sah meine Neugierde und sprach mich an: "Na, Du willst wohl wissen, was ich da gemacht habe?" Ich nickte nur.

"Ich habe Himmel und Erde gefragt, wie unsere Reise weitergeht. Das war ein Orakel."

"Orakel kenne ich. Bei uns hat der Schamane Schulterknochen ins Feuer geworfen, die bekamen Risse und daraus las der Schamane die Zukunft. Wer hat dir das mit dem Stock beigebracht?" getraute ich mich jetzt zu fragen.

"Ein persischer Wahrsager, dem half ich mal. Willst Du die Geschichte horen?" fragte er mich. Ich nickte eifrig, denn Geschichten mochte und mag ich immer noch. Dann fing er an zu erzählen:

Also, diesen Wahrsager traf ich auf dem Basar in meiner Heimatstadt. Genauer, ich schützte ihn vor jungen Männern, die eine Wut auf ihn hatten, weil er für sie nicht das prophezeit hatte, was sie hören wollten. Sie wollten sich schon auf ihn stürzen, da habe ich eingegriffen. Da ich viel älter war als sie, zogen sie sich maulend zurück.

Ich habe dann den Wahrsager meine Gastfeundschaft angeboten, um sich von dem Schrecken zu erholen. Er nahm an und wir gingen zu meinem bescheidenen Haus.

Am nächsten Tag wollte er weiterziehen und sagte: "Ich bedanke mich bei dir, dass Du mir beigestanden hast und dass ich dein Gast sein durfte. Dafür möchte ich dir etwas schenken. Lass uns zusammen Tee trinken."

Wir saßen einander gegenüber, der Tee dampfte in den Gläsern. Er sagte: "Schließe deine Augen" und er begann zu singen, was ich nicht verstehen konnte. Ich hatte das Gefühl, irgendwie woanders zu sein. Und ich hörte seine Worte, sie erklärten mir das Orakel, wie und wozu es zu gebrauchen ist. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit langsamer läuft oder gar stillsteht.

Dann hörte ich seine Stimme: "Jetzt kannst Du die Augen wieder öffnen."

Die Zeit muss wirklich stillgestanden sein, denn die Teegläser waren immer noch heiß ... Aber seine Einweisung in dieses Orakel habe ich nie vergessen.

Dann wollte er gehen, beim Abschied blickte er mir tief in die Augen und sprach: "Eines Tages wirst Du ein kleines, dreckiges Nomadenmädchen treffen, mit blonden Haaren und blauen Augen. Und an sie wirst Du deine Orakelkenntnisse weitergeben."

So geschah es ...


Veröffentlicht am 19.09.2012 von TheKlangerzeuger

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