Montag, 12. September 2011

GLOSSE: Zensus - eine Tragikomödie in sieben Auftritten - Blog von Kiat Gorina


ERSTER AKT:
Der Erhebungsbeamte 

Es ist Mai, ich bin bei der Stallarbeit. Draußen gießt es in Strömen. Da kommt ein Auto angerattert, ein etwas beleibter Mann steigt aus, schreitet zu meiner Stalltür und baut sich auf. 

Mann (Befehlston): "Ich komme vom Landrat, wegen der Umfrage!" 

Ich schaue mir den Typen an. Keine Regenjacke, dafür ein Hemd mit zerrissenem Ärmel. 

Ich  (zweifelnd): "Haben Sie denn einen Ausweis?" 

Er: "Muss ich suchen" (kramt in seinen Taschen

Dann hält er mir seinen Personalausweis unter die Nase, anfassen darf ich seinen Ausweis nicht! 

Ich (sehr zweifelnd): "Und Sie sind Erhebungsbeauftragter?" 

Er: "Jawoll! Ich bin Erhebungsbeamter! Und jetzt müssen wir den Frageboden ausfüllen!" 

Ich (im Babyton): "Lassen Sie den Fragebogen da, ich kann schon lesen und schreiben und den Fragebogen alleine ausfüllen!" 

Er: "So, aber ich muss wissen, was Sie eintragen!" 

Ich: "Jetzt geben Sie mir schon den Fragebogen, ich setze mich nachher an den Computer!" 

Er: "So einfach geht das nicht, ich muss vorher ihre Fragebogennummer aufschreiben und ihren Code!" 

Er zückt sein Notizbuch, schreibt etwas vom Fragebogen ab und verschwindet. 

ZWEITER AKT:
Die Erfassung 

Den Fragebogen lege ich im Stall auf einen Futtersack, da kommt ein Windstoß, der Bogen landet in der Abflussrinne für Gülle und bekommt einige Flecken ab. 

Ich (murmelnd): "Das passt zusammen!" 

Dann versorge ich die Tiere und gehe ins Haus, wasche mir die Hände und setze mich gleich an den Computer. 

Ich rufe die Webseite auf, tippe die Nummer des Fragebogens ab und den Aktivierungscode.
Ich (fragend murmelnd): "Ist das jetzt ein großes O oder eine Null?" 

Ich entscheide mich für ein großes O. 

Ich (überrascht): "Glück gehabt!" 

Die aufgerufene Seite geruht zu antworten, die Fragen erscheinen. 

Ich: "Das ist ja kinderleicht! Wozu brauchen die Erhebungsbeauftragte?" 

Also flugs alle Fragen beantwortet - die meisten wurden ja - da unzutreffend - übersprungen. 

Abschließend:
Ich (ahnungsvoll): "So, jetzt den Ausdruck! Wer weiß, wozu das gut ist! 

DRITTER AKT:
Die erste Mahnung 

Mittlerweile ist Ende Juli, ein großer Umschlag steckt im Briefkasten. 

Ich (seufzend): "Was will das Landratsamt jetzt schon wieder von mir? Im Zweifelsfalle Geld!" 

Ich öffne den Umschlag und lese, dass die Erhebungsstelle im Landratsamt noch keinen ausgefüllten Fragebogen erhalten habe. 

Ich: "So ein Quatsch! Den habe ich doch längt im Computer eingetragen!" 

und suche nach dem Ausdruck. 

Ich: "Klar! Mit Datum!" 

Anruf bei der Erhebungsstelle, ein junger Mann meldet sich. 

Ich: "Ich habe heute eine Mahnung von Ihnen erhalten, ich hätte den Fragebogen noch nicht abgegeben. Aber das kann nicht sein, ich habe sogar einen Ausdruck von meinem Eintrag!" 

Junger Mann: "Aber wir können auf Ihre Daten nicht zugreifen! Sie müssen deshalb den Fragebogen ausfüllen. Aber ich bin kulant, sie müssen das Antwortkuvert nicht frankieren!" 

Ich: "Wieso soll ich das noch einmal ausfüllen? Einmal genügt doch!" 

Junger Mann: "Aber wir können nicht darauf zugreifen, das Programm meldet zwar, dass Sie den Fragebogen abgesandt haben, aber wir sehen ihn hier nicht!" 

Ich: "Das ist nicht mein Problem!" 

Junger Mann (im scharfen Ton): "Sie sind gezwungen, den Fragebogen auszufüllen und uns zu schicken. Wenn Sie das unterlassen, erhalten Sie eine Ordnungsstrafe von bis zu 50.000 Euro. Wegen mangelnder Mitwirkunsgpflicht! Also, überlegen Sie sich das gut!" 

Ich: "Aber hier steht, ich zitiere: Sie können die Angaben auch im Rahmen einer Online-Meldung abgeben." 

Junger Mann: "Wo steht das?" 

Ich (süffisant): "Auf der Rückseite Ihres Briefes!" 

Junger Mann (versuchter Befehlston): "Das interessiert mich nicht! Ich brauche Ihren Fragebogen, damit ich ihn eintippen kann! Wenn Sie keinen Fragebogen schicken, setzt es ein Zwangsgeld!" 

Ich: "Das werden wir sehen. Auf Wiederhören!" 

VIERTER AKT:
Bundesamt für Statistik, Wiesbaden 

Ich setze mich wieder an den Computer, rufe die Webseite auf und tippe Nummer und Code ein. 

Ich (murmelnd): "Das Programm akzeptiert meine Eingaben nicht mehr - irgendwie logisch, ich bin ja schon erfasst." 

Ich suche mir die Nummer des Bundesamtes für Statistik in Wiesbaden und erzähle meine Geschichte einer Frau: 

Ich: "Ich wollte den Fragebogen neu eintippen, aber das Programm akzeptiert keine Eingaben mehr!" 

Frau: "Das geht auch nicht! Aus Datenschutzgründen darf nur einmal erfasst werden!" 

Ich: "Das leuchtet mir ein. Aber im Landratsamt können sie auf meine Daten angeblich nicht zugreifen!" 

Frau (zögernd): "Ja, solche Fehler sind uns bekannt. Im Freistaat Sachsen da können die Erhebungsstellen die eingetragenen Fragebögen zwar aufrufen, aber dann bleibt der Bildschirm dunkel!" 

Ich: "Da kann doch ich nichts dafür!" 

Frau: "Wo wohnen Sie?" 

Ich: "In Bayern." 

Frau: "Dann wenden Sie sich an das Landesamt für Statistik, das sitzt in Fürth, ich gebe Ihnen die Nummer."  

So geschieht es.  

FÜNFTER AKT:
Das Landesamt für Statistik, Fürth 

Mit der Nummer bewaffnet, rufe ich im Landesamt für Statistik in Fürth an und erzähle meine Geschichte - wieder einer Frau: 

Ich: "Wenn ich nicht den Fragebogen erneut ausfülle, dann droht die Erhebungsstelle mit Zwangsgeld!" 

Frau: "Dazu ist die Erhebungsstelle berechtigt, weil Sie gegen Ihre Mitwirkungspflicht verstoßen." 

Ich: "Ich habe nicht gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen, ich habe den Fragebogen ausgefüllt und erfasst!" 

Frau: "Ich gebe Ihnen einen guten Rat, die Erhebungsstelle sitzt am längeren Hebel. Füllen Sie den Fragebogen aus und schicken Sie ihn ins Landratsamt. Diese Art der Erhebung funktioniert jedenfalls." 

Ich: "Soll das heißen, dass die Online-Erfassung nicht funktioniert? Und was ist mit meinen bereits erfassten Daten? Schwirren die irgendwo im weltweiten digitalen Nirwana herum?" 

Frau: "Ich weiß nicht, wo der Fehler liegt." 

Ich: "Wenn nicht bekannt ist, wo die Fehlerursache liegt, dann habe ich kein Vertrauen zu der Art und Weise, wie Sie den Datenschutz handhaben." 

Frau: "Ich werde die Erhebungsstelle im Landratsamt anrufen, Sie erhalten Bescheid!" 

SECHSTER AKT:
Der Datenschutzbeauftragte für Bayern, München 

Wieder suche ich mir eine Nummer heraus, diesmal für den Datenschutzbeauftragten für Bayern. Und rufe an. Und erzähle meine Geschichte - einem gemütlich wirkenden Münchner. 

Ich: "Und ich soll sogar Zwangsgeld bezahlen, weil ich angeblich gegen meine Mitwirkungspflicht verstoße!" 

Datenschützer: "Sie brauchen natürlich kein Zwangsgeld zu bezahlen, Sie haben nicht gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen. Das Problem dürfte in der Erhebungsstelle im Landratsamt liegen. Schreiben Sie alles auf und schicken Sie uns den gesamten Vorgang. Wir werden der Sache nachgehen." 

SIEBTER AKT:
Erhebungsstelle im Landratsamt 

Im August erhalte ich eine Kopie des bereits bekannten Mahnungsschreibens. Ich setze mich - wieder einmal - an den Computer und will den Fragebogen eingeben. Diesmal geruht der Computer, sowohl Nummer als auch Code anzunehmen. Also tippe ich die Eingaben von meiner ausgedruckten Ersteingabe noch mal ein. 

Ich (murmelnd): "Wieso erscheint da kein Hinweis, dass die Daten bereits vorliegen?" 

Ich erfasse alles - mittlerweile habe ich ja schon Übung und drucke noch einmal aus. Dann rufe ich die Erhebungsstelle an, eine Frau meldet sich: 

Frau: "Mein Kollege hat mir gerade gemeldet, dass sie soeben die Daten erfassen." 

Ich (perplex): "Wieso? Werde ich von der Erhebungsstelle überwacht?" 

Frau (stotternd): "Ich wollte sagen, dass mir der Kollege mitteilte, dass sie den Fragebogen online ausgefüllt haben." 

Ich: "Vorhin haben Sie sich aber ganz anders ausgedrückt. Aber sei es wie es sei, weil ich Sie gerade an der Strippe habe, eine Frage: Ist der Erhebungsbeauftragte berechtigt, die Daten von dem Fragebogen abzuschreiben? Auch den Aktivierungscode?" 

Frau (schnaufend): "Nein, natürlich nicht! Aber selbst wenn er das gemacht hat, die Daten sind vertraulich! Er ist ja Erhebungsbeauftragter und wurde ausgebildet." 

Ich: "Auch in Sachen Datenschutz?" 

Frau: "Selbstverständlich!" 

Ich: "Und wo sind meine Daten gelandet, die ich das erste Mal eingegeben hatte?" 

Frau (stammelnd): "Das entzieht sich meiner Kenntnis." (Pause, dann festere Stimme) "Ich rate Ihnen, lassen sie das alles auf sich beruhen, wir haben Ihre Daten!" 

Ich: "Und ich habe Ruhe vor Ihnen?" 

Frau: "Vorerst ja!" (legt auf

Ich (murmelnd): "Hört sich an wie eine Drohung ... Bin mal gespannt, was als nächstes kommt!"

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