Mittwoch, 17. Oktober 2012

Eine Bombe als Weihnachtsgeschenk? - Blog von Kiat Gorina


Heute kamen mir die ersten Prospekte voller "Geschenkideen zu Weihnachten" ins Haus geflattert. Und ich dachte mit leisem Schaudern an die Weihnachtsabende bei meinen "Eltern" zurück: Just the same procedure as every year. 

Jedes Jahr durfte ich mir als Geschenk etwas für zwanzig DM (also zehn Euro) aus dem Quelle-Katalog aussuchen. Und ich wollte gern eine Schreibtischlampe haben. In meinem winzigen Zimmer stand der Schreibtisch an der Wand, die Deckenlampe hatte ich im Rücken. Da blieb des Öfteren die Erleuchtung bei mir aus. 

Licht musste her, aber wie? Ha, das könnte gehen. Ich entführte die große Stehlampe. Mitten unter deren riesigen Lampenschirm pflegte Vatern zu thronen, wenn er im Hobbyraum "residierte". 

Der Schirm schwebte wie ein übergroßer Heiligenschein über Vaterns Haupte, das Licht ergoß sich so rund um seine hochwerte Person. 

Ich hatte gerade erst mit den Hausaufgaben angefangen, da wurde die Lampe zurück erobert.  Im Dunkeln konnte ich schlecht lernen. Und wenn ich im Winter von der Schule kam, war es duster. 

So, was jetzt? Dann musste ich halt den Schreibtisch unter die Deckenlampe ziehen, wenn das die Enge in meiner Bude zuließ. Da drin konnte ich auch nur eine Tür meines Kleiderschranks weit öffnen, vor der anderen Tür stand das Bett. Wenn ich nun den Schreibtisch unter die Lampe ziehe, geht die Zimmertür nicht mehr auf. Egal, irgendwie musste das gehen. Zu der Zeit war ich noch so ein dürrer Hungerhaken, der sich durch die schmalsten Spalten zwängen konnte. 

Also los. Dieser schwere klobige Eka-Schreibtisch hatte nur einen  Fehler. Seine dünnen Beine waren nicht angeschraubt. Die beiden Beinpaare lagen nur in Kerben, um nicht zu verrutschen. Zog man am Schreibtisch, klappten die Beine weg und der Tisch samt seinen Schubladen sackte mit lautem Gepolter zu Boden. 

So auch diesmal. Das laute "Romms" dröhnte durch das ganze Haus. Auch von unten "dröhnte" es los: "Was fällt dir ein! So einen Krach zu machen? Du benimmst dich wieder unmöglich! Außer Randalieren hast du ja bei deinen Hottentotten (sie meinten damit die Mongolen!) nichts gelernt! Mach sofort die Tür auf! Ich befehle es dir!" 

Immer wieder warf Vatern sich voller Wut gegen die Tür. Die ging aber nicht auf. Konnte sie auch nicht. Der Schreibtisch war fest zwischen Bett und Zimmertür eingekeilt. Dazwischen klemmten die Reste meines Stuhles, der bei Vaterns Attacke sein Leben aushauchte. Er war zwischen die "Fronten geraten". Der Stuhl war nicht das einzige Opfer von Vaterns Raserei. Die Zimmertür bekam einen Sprung, Vatern eine Schulterprellung, die Schreibtischbeine waren nicht mehr zu gebrauchen. Und ich bekam wie schon so oft Vaterns Hausschuhe um die Ohren geschlagen, als ich endlich meine Trümmerstätte verlassen konnte. 

Meine Hausaufgaben erledigte ich fürderhin im Schneidersitz. Irgendwie vermisste ich die Schreibtischbeine und den Stuhl ... 

Ja, und dann kam Weihnachten und damit hoffentlich meine lang ersehnte Schreibtischlampe. 

Heiligabend: nach dem Anhören der Weihnachts-Schallplatte, auf denen Vatern seine Lieblingsstellen offenbar angekreuzt hatte, gab es Geschenke. 

Mein Halbbruder Wotan strahlte: er hatte seine heiß ersehnte 750-er BMW (schweres Motorrad) und eine neue Motorradjacke bekommen. 

Ich strahlte auch: gleich würde ich meine dringend benötigte Schreibtischlampe bekommen! 

Nanu, irgendwie fühlte sich dieses Geschenk so gar nicht wie eine Lampe an. War es auch nicht. Was da aus dem schon mehrfach verwendeten Geschenkpapier zum Vorschein kam, war ein kleines uraltes Röhrenradio. Mit dem Ding konnte man immerhin Kurzwelle und Mittelwelle empfangen. 

Ich war am Boden zerstört, ich brauchte kein Radio, sondern dringend eine Lampe! 

Und wie ich meine "Eltern" inzwischen kannte, folgte noch eine kalte Dusche. Schon ging es los: "Eigentlich hast du so etwas Schönes gar nicht verdient! Aber wir wollen nicht, dass du uns wieder so vor anderen Leuten blamierst!" Das war meine "Mutter. Ihr "Was sollen denn die Leute sagen!" wuchs sich langsam von einer leichten Macke zu einer Riesenmeise oder schon zu einem Schwan aus. 

Es ging noch weiter, weil ich mich an meine neueste "Untat" nicht erinnerte. "Deinen Freundinnen zu erzählen, du hättest kein Radio und keine Schallplatten! Was sollen denn die Leute sagen! Da im Schrank, Radio, Plattenspieler, Platten, alle da! Du lügst, wenn du nur den Mund aufmachst!" 

Eben jener, der Mund nämlich, blieb mir offen stehen. "Muttern" selbst hatte mir strengstens verboten, das Wohnzimmer zu betreten. Nur an hohen Feiertagen, wie Weihnachten oder Ostern durfte ich in dieses "heilige Gemach". 

Jetzt fiel mir auch meine Untat wieder ein: Freundinnen hatte ich zur Schulzeit keine. Und diese beiden Klassenkameradinnen kamen wahrscheinlich aus purer Neugier oder Bosheit vorbei. "Ey, komm, wir wollen mal deine neuesten Platten hören. Abba, Boney M., zeig mal,was du so hast." 

Ich war mir klar darüber, dass sie mich nur auf den Arm nahmen. Ich war doch nur der Klassenidiot, die Lachnummer. 

Kein Wunder, ich war neu in der Klasse und sah dazu aus, wie  ein tragischer Clown. 
Weil ich aus der Lubjanka keine Kleidung mitgebracht hatte, staffierte Muttern mich  aus, aber nach ihrem Geschmack. Das hieß: kackbraune Oma-Wollhosen, deren Gummizug unter den Armen kniff. Kakelige großgeblümte Blusen, Häkelpullis mit Spitzenkragen ... 

Mir graust es heute noch, wenn ich an die Sachen denke. Das war 1978. Da gab es knallenge Jeans, Hippie-, Armee- oder Rockerkluft, aber eben keine Oma-Kluft. Und mit offiziell 17 Jahren so herumzulaufen, kam einem Todesurteil gleich. Dass ich weder Radio noch Cassettenrecorder oder gar Platten besitzen konnte, war den Mädchen klar. 

" ... hatte Oma-Detmold noch auf dem Dachboden. Ich habe es ausprobiert, es ist bestens in Schuss", durchdrang Vaterns Stimme diesen Nebel aus scheußlichen Erinnerungen. 

Na, dann. Ich klemmte mir das Radio unter den Arm und verzog mich in mein Zimmer. Eine ganze Serie atmosphärischer Störgeräusche konnte ich dem Kasten schon mal entlocken, vielleicht bekam ich ja noch einen brauchbaren Sender herein? 

Von wegen! Es gab einen mordsmäßigen Puff, ich saß im Dustern und ein verbrannt-staubiger Geruch machte sich breit. Eine Staubexplosion! In dem uralten Gehäuse musste sich der Staub von Jahrzehnten angesammelt haben. Und wenn der heiß wird ... 

Im Wohnzimmer hörte ich den Rest der Sippe zetern, dann wurde es wieder hell. Und ich schlappte ins Badezimmer. Irgendwie fühlte ich mich paniert. Ich sah in den Spiegel: genau wie Onkel Nolte (Wilhelm Busch) nach der Explosion seiner Tabakspfeife. 

Mein Zimmer sah auch lieblich aus. Überall klebte diese graue fettige Staubasche aus dem Radio. 

Den Rest der Weihnachtstage war ich damit beschäftigt, das Zimmer wieder sauber zu bekommen.



Hochgeladen von MrLorco am 23.08.2011


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