Mein Vater war im zweiten Weltkrieg Oberfeuerwerker. Und danach graduierter Ingenieur. Sicher, das waren andere auch. Aber wenn die Wehrmacht lauter so Experten wie meinen Vater gehabt hätte, wäre der Krieg schon vor Beginn verloren gewesen.
Auch zu Hause reparierte er oft Sachen, die danach entweder nicht mehr zu gebrauchen waren oder aber - ganz schlimm: die Dinger wurden mit jeder Menge zusätzlicher neuer Kabel, Knöpfe, Hebel und Schaltern ausstaffiert.
Meine "Mutter" hatte irgendwie gelernt, mit diesem Tick umzugehen. So bekamen wir schon Ende der 1980-er Jahre ein Fernsehgerät. Schauen durfte aber nur mein Vater als Herr des Hauses. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass sich der Bildschirm abnutzt oder so, wenn ich auch mitschauen wollte. Muttern wurde dann auch zugelassen. Meinem Vater war nämlich eingefallen, dass, wenn Muttern im Nebenraum saß, dort ebenfalls eine Glühbirne brannte, damit sie nicht ganz im Dustern saß. Und im Dunkeln konnte sie wohl kaum seine Socken stopfen.
Gut, auch sie kam in den Genuss der Glotzkiste. Weil das ja Strom sparte. Und die Glühbirne nebenan würde dann ja auch länger halten.
Irgendwann Mitte der 1990-er befiel Vatern anscheinend ein Kaufrausch. Eine Satellitenschüssel wurde angeschafft.
Als ich zu Besuch nach Detmold kam und Vatern nicht in Sichtweite war, führte Muttern mir stolz die Neuanschaffung vor.
Ich hatte mich schon gewundert, ob Papa im Fernsehraum eine Art Raumschiffzentrale installiert hatte. Mehrere Schalt- und andere Blechkästen wurden durch ein Gewirr von dicken und dünneren, glatten und gedrehten Kabeln miteinander verbunden.
Einen Moment lang befiel mich der Schreckgedanke, das Ganze sei vielleicht eine Zeitbombe. Schon öfter hatte Vatern im Keller mit Schwarzpulver und diversen anderen feuergefährlichen Dingen experimentiert. Nicht nur einmal rummste es fürchterlich - wir ahnten Schlimmes und rasten in den Keller, aus dem dicke Rauchwolken quollen.
Hatte es Vatern jetzt erwischt ... nein, stahlend tauchte er auf, mit einer Art Trafo in der Hand. Er hatte von außen gezündet.
Uff, also keine Zeitbombe. Das Ganze war seine Art, den Satellitenempfänger in Gang zu bringen. Ratlos stand ich vor dem Aufbau: "Und, wie kriegt man das jetzt an?", fragte ich - ich wurde aus dem Gewirr nicht schlau.
Muttern lachte. "Da bist du nicht allein. Papa vertut sich selbst auch immer wieder. Aber guck mal, hier" , damit schlug sie die Tischdecke zurück und ein vollgeschriebener Zettel kam zum Vorschein! Darauf hatte sie sich notiert, was in welcher Reihenfolge wie zu tun war. Also ein Kochrezept für Fernseher.
Dann flog mein Vater nach Miami, Florida. Mein Bruder Wotan hatte ihn eingeladen. Immer wieder schwärmte mein Vater davon, was für ein erfolgreicher Geschäftsmann mein Bruder doch sei. Ich hingegen ...
"Wotan hat da richtig was auf die Beine gestellt! Er fährt die freien Werkstätten ab und beliefert sie mit Schrauben im metrischen System für die deutschen Autos! Stell dir vor, er ist jetzt schon Millionär! Er hat so viel zu tun, dass ich ihm sogar helfen musste, die Schrauben abzuzählen und einzutüten!" Papa quoll fast aus dem Hemd vor Stolz.
"Was? Schraubenmillionär? Und da habt ihr am Tisch gesessen und die Schrauben einzeln abgezählt? Irgendwas stimmt da doch nicht. Bist du sicher, dass Wotans Firma wirklich Millionen erwirtschaftet!?" Mich befielen heftige Zweifel an der Erzählung!
"Wotan ist sehr erfolgreich! Und das Abzählen von Hand hat auch ein Ende. Ich bin nämlich dabei, ein Schraubenabfüllgerät mit eingebautem Zähler zu konstruieren. Was mir noch Probleme bereitet ist, dass sich die Schrauben immer im Auslass verkanten ... Und so ganz billig wird die Herstellung dann auch nicht, weil das ja ein Einzelstück wird, wo man immer die verschiedenen Auslassquerschnitte einsetzen muss."
"Papa, du bist doch Ingenieur, da müsste das doch eigentlich ganz einfach für dich sein ..." So, weiter reichte meine Selbstbeherrrschung nicht. Ich schaffte es gerade noch durch die Tür, dann brüllte ich vor Lachen.
Wieso wogen diese Spezialisten nicht einfach immer zehn Teile ab, dann konnten sie doch ausrechnen, welches Gewicht dann 100, 200 oder sonst wie viele Schrauben haben. Tja, dem Ingenieur ist nichts zu schwör.
Bleibt zu hoffen, dass Vatern mir nichts von seinen Umständlichkeitsgenen vererbt hat. Ich bin nämlich auch Ingenieur...
Hochgeladen von Padde86 am 07.12.2007
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