Samstag, 1. Dezember 2012

Veterinär hat's schwer: Keine gute Bildung - die Einbildung - Blog von Kiat Gorina


Da hatten Bekannte sich einen neuen Hund zugelegt: beide schon etwas älter, von Gestalt eher zart bis spillerig - aber eine riesige Mischung zwischen Bernhardiner und Berner Sennenhund musste es sein! Stolz führten sie mir ihr Ungetüm vor. Mich erinnerte das Riesenviech so fatal an ein Mammutbaby und ich fragte ahnungsvoll: 

"Sagt mal, der Hund ist doch schon etwas älter. Was macht ihr, wenn euch der Hund mal umkippt und zum Tierarzt muss? Wie kriegt ihr den ins Auto?" 

Betretenes Schweigen, dann diese Antwort: "Ach, der Bonifatius ist doch topfit! Wir haben ihn jetzt seit einer Woche, gehen mit ihm spazieren, und die Nachbarskinder nehmen ihn nachmittags auch immer mit. Sie sollten mal sehen, wie er stundenlang begeistert im hohen Schnee herumtollt!" 

Auweh, mir ahnte Übles. Wenn so ein untrainierter Riesenhund stundenlang herumtobt, dann ... Gesagt habe ich nichts. Erstmal. 

Aber dann kam der Anruf: "Unser Bonifatius liegt nur noch hechelnd in der Diele, er will gar nicht raus. Ob er sich was in die Pfote getreten hat?" 

Nein, dann würde er die Pfote lecken, aber nicht hecheln. Seufzend und mit düsteren Ahnungen klemmte ich mich ins Auto, um einen Hausbesuch zu machen. Von wegen Pfote - es war das Herz. Da war so ein seltsames Nebengeräusch im Stethoskop, ich vermutete etwas in Richtung Herzbeutel. Aber bei dem Hecheln kam ich nicht weiter, die Maulschleimhäute sahen auch schon so seltsam aus: also schleunigst zum Tierarzt. Diese Leute hatten ihren Stamm-Tierarzt. Und der war weiter entfernt. Keine Hausbesuche! 

Irgendwie, mit List und Tücke, haben wir dieses Elefantenbaby ins Auto gehievt und zum Doktor gefahren. 

Bevor ich es verhindern konnte, stellte die arglose Hundehalterin mich als "ihre Tierheilpraktikerin" vor. Etwas Schlimmeres hätte sie nicht tun können. 

Tierheilpraktiker haben  - oft leider zu Recht - einen sehr schlechten Ruf. Weil sie mit Heilsteinen, Heilgesängen und Kinesiologie "arbeiten". Und dabei kann meiner Meinung nach nichts Gutes herauskommen. 

Ich muss Krankheiten diagnostizieren und entscheiden können, ob das Tier zum Tierarzt muss. Und dazu gehört Fachwissen, die Leistung im Gesangsverein hilft da nicht weiter. 

Immerhin, der Tierarzt war auch der Ansicht, mit dem Herz sei etwas nicht in Ordnung. Zu Perikarditis meinte er nur: Das kann es nicht sein, außerdem gibt es dafür keine Behandlungsmöglichkeit. 

Gibt es doch. Aber die wenigsten Tierärzte kennen sie. 

Der gute Bonifatius bekam ein Menschen-Kreislaufmittel verschrieben und durfte wieder nach Haus. 

Aber dann: wenige Tage später schellte mein Telefon. Das hörte sich irgendwie dringend an, so rannte ich mit meinen mistverschmierten Gummistiefeln ins Haus.
Ach, ich hatte es geahnt: es waren die Bonifatius-Besitzer. Der arme Hund lag vor dem Kamin auf einem Edelteppich und blinzelte mir nur müde entgegen. Was war da los? 

Da - er schüttelte den Kopf, seine Augen wurden klarer, er setzte sich auf. "Hatte er das schon öfter?", fragte ich und die Leute nickten sorgenvoll. Ich untersuchte gerade den stehenden Hund, da ging es wieder los. Er klappte einfach zur Seite, als ob jemand "den Stecker herausgezogen hätte". Na prima! Das war ein ausgewachsener epileptischer Anfall! Es stellte sich heraus, dass er seit ein paar Tagen ab und zu mal leicht "weggetreten" war. "Aber nie so schlimm wie heute", beteuerten die Leute hastig, "das fing am nächsten Abend nach dem Besuch beim Tierarzt an. Am Morgen haben wir ihm die erste Pille vom Doktor gegeben. Und jetzt das! Er stirbt doch nicht?!" Das war schon ein verzweifelter Aufschrei, das Paar liebt seinen Hund. 

"Zeigen Sie mir bitte mal diese Pillen. Und den Beipackzettel." 

Den gab es nicht, aber auf dem Pillenblister stand der Name des Kreislaufmittels. So rief ich den Bär an, der schaute in meiner Roten Liste nach: Aha! Da hatten wir es: Kann unter den unten beschriebenen Umständen zur Epilepsie führen! 

Na wunderbar! Und das am Samstag Abend! Ich griff nochmal zum Telefon und rief den Tierarzt an. Ich schilderte ihm, was passiert war und dass der Hund seit meiner Ankunft zwei Grand Mals gehabt hatte. Oha! Da hatte ich wohl in ein Wespennest gestochen! 

"Sie sind doch diese Tierheilpraktikerin! Was verstehen Sie denn schon von epileptischen Anfällen!" 

Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen: "Genug, um einen epileptischen Anfall zu erkennen. Und Grand oder Petit Mal kann man ja wohl kaum verwechseln." 

"Was immer Sie sich da einbilden, ein epileptischer Anfall war das ganz sicher nicht!"

"So, und was ist Ihre tierärztliche Telefon-Diagnose? Alkoholisches Delirium? Bei Ihrem Kreislaufmittel wird extra vor der Gefahr von epileptischen Anfällen gewarnt ..." 

Der Tierarzt kreischte noch ein Weilchen vor sich hin. Immerhin bekamen die Leute dann ein anderes Kreislaufmittel für ihren Hund und die Anfälle hörten auf. 

Mein Fazit: auch eine gute Ausbildung schützt nicht vor Einbildung. 


Hochgeladen von Perla2002 am 07.06.2008


Hochgeladen von casimirxy am 30.12.2010
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